Sonntag, 18. Oktober 2009

Pariser Himmel

Es war eine kalte Nacht. Ein Blick in den Himmel aber genügte, um alle Temperatur vergessen zu machen. Abertausend Lampen glommen zwischen dem schmächtigen Funkeln der Sterne und überstrahlten diese mit einem künstlichen Glanz, der einem automatisch Synthetikmief in die Nase trieb.

Nein, was sie empfand, was da ihren Rücken hinunterkroch, wenn sie den Kopf in den Nacken legte und in die grelle Schwärze vor dem Universum schaute, war weitaus mehr als bloße Kälte. Von einem mickrigen Schauer ganz zu schweigen. Sie blickte schnell wieder auf die nasse Straße zu ihrer Rechten und dachte, dass diese mit ihren flackernden Lichtreflexionen und der beinahe majestätischen Leere viel eher wie ein nächtlicher Himmel wirkte. Also spazierte sie nur wenige Zentimeter neben dem Himmel und den röhrenden Vögeln, die ab und zu an ihr vorbeibrausten, und verhakte die Finger hinter dem Rücken ineinander.

Es lag bereits vier Jahre zurück und dennoch frequentierten die Erinnerungen immer noch regelmäßig ihr Denken. Wie ein Bombenregen schossen sie auf ihren Verstand nieder und umzäunten ihr Fühlen. Mit tiefer Melancholie im Bauch dachte sie an alte Zeiten. An Gelegenheiten, die parallel zueinander verlaufen waren und an soviel Unentschlossenheit in einem Meer aus Impulsivität. Nun kam er doch, der Schauder und sie schüttelte sich unmerklich. Kleine Tropfen perlten von den groben Maschen ihres zweifarbigen Wollpullovers. Das Gefühl in ihren Mundwinkeln wollte sie zu einigen nonchalanten Tränen nötigen. Seufzend stellte sie sich die Frage, ob zu Ehren alter Augenblicke oder zu deren bloßer Schande. Sie unterdrückte das Bedürfnis zu weinen und ließ den Blick wieder über den Kunststoffhimmel wandern. Wie ungelenk und gebunden sie sich im Vergleich zu damals fühlte, wie allein, verlassen, klagend. Es war erbärmlich, dessen war sie sich bewusst. Hundserbärmlich.

Und wieder brauste einer der matten Vögel an ihr vorüber und bespritzte ihre Kleidung mit weiteren schmutzigen Wasserresten der Fahrbahn. Nie wünschte sie sich in solchen Augenblicken den nächsten Morgen herbei, immer nur den vorangegangenen, oder den davor, oder alle davor, und die Zeit zum Teufel und seinen giftigen Weibsbildern. Der BH zwickte unangenehm an ihrem Rücken, aber sie unternahm nichts dagegen. Es war eigentlich ein recht willkommenes Gefühl. Morgen würde sie die drei anrufen und versuchen, so zu sprechen, wie sie damals wohl gesprochen hatte, ehe sich vier aufgedunsene, nutzlose Jahre zwischen sie gezwängt hatten. Vielleicht auch nur zwei von ihnen, ihn mochte sie nicht mehr so. Die Erinnerung an sein Gesicht war schon zu verblasst und lag verschoben hinter hundert anderen Mimikschablonen. Aber erst würde sie zurück nach Hause und sich in dem speckigen Sessel ein paar Gläser mit warmem Wein gönnen. Und dann, morgen, wenn sie spät, gerädert und so speckig wie ihr Mobiliar aus ihrem Bett gekrochen war, würde sie ihre verhasste Küche und den verhassten Flur sehen und sich dafür schämen, niemals den Mut des vorangegangenen Abends aufbringen zu können, ehe sie den Hund fütterte.

Aber vielleicht würde sie auch weiterwandern. Weiter, immer ein paar Schritte vom Himmel entfernt, auf einer Linie mit den Wolken und zusammen mit den Winden, neben dem Funkeln am Firmament. Und vielleicht, ganz vielleicht würde der blöde Himmel dort enden, wo tatsächlich keine Zeit mehr existierte. Wo Gestern gleichwohl Morgen ist und wo Jahre Spucke sind. Und wenn dieser Ort beim Teufel sein sollte, so würde sich nicht zögern, eines seiner giftigen Weibsbilder zu sein.

Nicht eine verfluchte Sekunde.

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