Donnerstag, 22. Juli 2010

Der Novellist - 5. Teil

Die anfangs noch zaghafte Steigung nahm nach einem flotten Marsch rapide zu. Es vergingen keine zwei Stunden, da zwang das Gefälle den Novellisten, seine Hände zur Hilfe zu nehmen und wenig später stellte er beeindruckt fest, dass die steile Felswand vor seiner Nase sich nahezu senkrecht in die Lüfte hob. Obwohl er nie sonderlich viel von Sport gehalten hatte, fand er sich doch mit einer gewissen bescheidenen Genugtuung dort am Hang hängend wieder und die seelische Herzensruhe, die friedvoll seinen Geist ummantelte, stand als konträres Gewicht seinem sich selbst tragenden Körper gegenüber, der flink und mit sicherem Tritt in die griffigen Scharten und Spalten des braunen Riesens glitt und sich so Handgriff um Handgriff an seinem Rücken empor hangelte. Sicher war es nicht von der Hand zu weisen, dass die ihm stets immanente Unbeholfenheit in der Bewegung auch nun zum tragen kam. Ein etwaiger Beobachter dürfte gar in ermüdender Regelmäßigkeit die Hände an den Kopf geworfen und bestürzte Warnrufe zu krächzen gehabt haben. Herr von Seinen aber, der sich seiner schwerfälligen Natur nie geschämt hatte, verschwendete nicht einen Gedanken an den sicheren Tod, der unzweifelhaft nur auf den ersten, der reinen Wahrscheinlichkeit halber längst schon überfälligen Missgriff hätte warten müssen. Wurde er sich gewahr, dass die Glieder unter ihrer Last zu schmerzen und zu zittern begannen, so kundschafte er flugs die nächste Nische seines vertikalen Weges aus, die bereit und geräumig genug ihn zu beherbergen war, und arbeitete sich zu dieser vor, um die Zeit ihre regenerative Arbeit verrichten zu lassen und hie und da spitzfinde Korrekturen in jüngst verfassten Texten vorzunehmen. Während er über Synonymen und gewieften Satzkonstruktionen brütete, schweiften seine Augen umher und schauten das große Meer von Sand, das er zuvor für ungeschätzte Dauer durchwatet hatte und welches sich nunmehr als beige Scheibe, kaum mehr als ein irrealer Schemen darbot. Die einzige Furcht, die sich in solchen Augenblicken bildete, war sich von dem Anblick jener gewaltigen Natürlichkeiten bannen zu lassen und somit seinen Gedanken entrissen, aus ihrem rauschenden Strom geworfen zu werden und nie wieder dieses eine, nur für die exakte Dauer jenes Momentes existierende Ideenunikum erhaschen zu dürfen. Erschüttert zwang er so seinen ausreißerischen Blick beherrscht zurück in die Schriften und vergaß die weltlichen Oberflächlichkeiten, ja selbst den nagenden Höhenwind, der ihm Speeren gleich die Poren seiner trockenen Haut durchstach.
Mit zunehmender Höhe fielen die Temperaturen und Herr von Seinen zog den hin und her zuckelnden Zylinder tiefer ins gerötete Gesicht. Des Nachts schlang er seine Arme eng um den dürren Leib, zog die Knie bis hoch zu der Brust und kauerte dösend in gastfreundlichen Einbuchtungen, während er in seinem Halbschlaf von Helden nie geschriebener Geschichten fabulierte. Manche von ihnen taff und von imposanter Statur, die meisten jedoch von unvorteilhaftem Bau und stacheligem Geist.
Die Kälte machte ihm nichts aus. Während seines Aufenthaltes auf einem kleinen Plateau, nur drei oder vier Tage seit Beginn des Aufstieges, hatte ihn ein beißender Föhnwind gegrüßt und wie von selbst war seine Hand mit versteifenden Fingern zur Brusttasche geglitten, wo unverändert das Briefchen mit den Zündhölzern ruhte. Bestürzt hatte er dann auf die flache Hand gegafft, die wie eine Spinne auf seiner Brust lauerte, und sie sofort mit entschlossener Ruckartigkeit weggezogen. Seit jener unerhörten Begebenheit war er in sturer Übereinkunft mit sich selber, die Kälte geflissentlich zu ignorieren.
Als sein Kopf nach einem beflügelndem Marsch zur Mittagszeit aus den Wolken ragte und er unter sich nicht mehr die schummrigen Überreste der weiten Wüste, sondern den sanften Spielplatz des Wetters beschaute, erhellte sich seine Miene. Wie die Hände eines Kindes fuhren die seinen in die flaumig gewordene Luft und versuchten spielerisch, dem Nebelfeld kleine Büschel zu entreißen. Er lächelte selig und sog genussfreudig die klare Höhenluft in sich, versuchte sie zu konservieren. Da bemerkte sein Geruchsorgan eine vertraute Feinheit in diesem nie geatmeten Destillat purer Frische. Ja, da war mehr als bloße Reinheit! In der befreienden Kälte, die seine Atemwege betäubte, befand sich das unvergleichliche Aroma von Wald und Wiese! Herr von Seinen tänzelte über Felsbuckel und schlängelte sich an steil abfallenden Hängen entlang, übersprang gazellengleich eine gähnende Kluft. War es denn die Möglichkeit? Hier, in dieser menschenlosen Gegend, hoch droben im Paradies, da gedieh sein Tabak in natürlichstem Umfeld. Es bestand kein Zweifel! Herr von Seinen beugte sich tief in das Feld zierlicher Nachtschattengewächse und füllte seine Nase mit dem Geruch dieser edlen Pflanze. Er beugte sich hinab, bis die Spitze seines Riechorganes die oberen Blätter der würzigen Krone dieser Höhenfauna durchschiffte und inhalierte wie besessen. Eines der sinnlich gewachsenen Geschöpfe trennte er knapp über dem Boden ab und verstaute es bei seinen Streichhölzern.
Als er sich wieder aufrichtete - er war womöglich etwas benommen - zeichnete sich vor seinen Augen ein klarer Weg ab. Dort, wo sich das Heer der geliebten Pflänzchen an die Steilwand schmiegte, setzte der Novellist seine Fußspitze in den Fels und kraxelte weiter die senkrechte Steigung empor.
Abends unterbrach er den Aufstieg, als sein Hut die sanft vibrierende Schwinge eines schlummernden Adlerjungens berührte. Herr von Seinen fragte sich mit leichter Kümmernis, an was es dem zitternden Spross wohl mangele, ehe ihm gewahr wurde, dass er träumte und sich offenbar rege in seinen ersponnenen Welten umher bewegte. Ganz genauso, wie es auch der Novellist des Nachts zu tun pflegte. Es war nicht alleine, drei weitere Jungtiere teilten sich mit ihm den Hort. Der müde Herr von Seinen schob sich über den Rand des lauschigen Geflechts, rutschte nah an ein leise surrendes Vogelkind heran, ohne dieses zu wecken, und fiel auf der Stelle in einen tiefen Schlaf.

Sonntag, 11. Juli 2010

Der Novellist - 4. Teil

Die Wüste war wahrlich weit. In alle Richtungen reckte sie sich und schien so gewaltig, dass sie sich am anderen Ende des Globusses selbst berühren und somit die ganze Welt umspannen könnte. Anfangs trug der borstige Steppenwind des Nachts noch das Heulen sich vor Einsamkeit verzehrender Kojotenweibchen an ihn heran. Mit jeder Sonnendrehung schwand auch diese Gesellschaft, bis er vollständig allein war. Doch wie auf dem Meere, so war er auch hier beileibe nicht einsam. Wenn er ging – und er ging den lieben langen Tag mit leichtem, federndem Tritt – so hatte er den flimmernden Horizont vor Augen und war gleichwohl glühend von Tatendrang und dem Gefühl, vorwärts, immer vorwärts zu gelangen, als auch trunken von seinen eigenen Gedanken. Sie tollten um den Inhalt seiner Manuskripte herum, von denen er schon ganze Abschnitte auswendig kannte. Das Gefühl, immer näher an der lyrischen Perfektion zu sein, hielt die Flamme in seinem Innern am Flackern, einzig von Eifer und Hoffnung genährt. Und wenn er doch mal Durst oder Hunger in sich rebellieren spürte, so griff er aufs Geratewohl ein Blatt aus dem Stapel unter seinem Jackett und studierte die zigmal korrigierten Zeilen. Sogar die Rückseiten der Blätter, die er seit jeher aus grundloser Überzeugung, die fast schon religiösem Eifer glich, unbeschrieben ließ, waren gänzlich mit Tinte ausgefüllt. Und sofort, wenn er seinen Blick durch die Irrungen des verwinkelten Labyrinths seiner tief empfundenen Orthographie streifen ließ, öffneten sich Türen zu Räumen, deren Existenzen er bisher nicht einmal in Erwägung gezogen hatte. Wie blass und eindimensional ihm hier doch die einfältigen Werke seiner Vergangenheit vorkamen, wie stupide und mittelmäßig das Schaffen großer Literaten war, im Vergleich zu dem, was hier unter diesem unbekannten Himmel von seinen verschwitzten Fingern geboren wurde. Gargekocht von der Sonne, angefüllt mit Trugbildern und tänzelnden, längst vom rechten Weg abgekommenen Gedankenungetümen war er doch so kreativ wie nie. So frei, so selbstsicher durchquerte er die große Dürre wie ein Seiltänzer, der artistisch über den staunenden Augen über der Manege und unter dem Dach des Zirkuszelts in luftiger Höhe tänzelt. Ohne einen doppelten Boden, ohne Netz, ohne alles, weil er nichts weiter brauchte als genau diesen einen Zeitpunkt, in dem er zu seinem Füller greifen und dieses bestimmte, penibel aus dem Granit befreite Wort niederschreiben konnte. Herr von Seinen war in Ekstase und die Nächte rauschten nur so über ihn hinweg. Wenn ein Kaktus seinen Weg kreuzte, so hielt er kurz inne und schnitt sich ein wenig von seinem Fleisch vom Stamm. Kaktusfleisch war das einzige, was er in dieser Zeit zu sich nahm und es mundete vorzüglich. Es war ihm ein Rätsel, wie er in seinem bisherigen Dasein ohne diese Delikatesse überhaupt im Stande gewesen war, zu überleben, geschweige denn ein halbwegs normales Leben zu fristen, ohne dem Wahnsinn anheim zu fallen. Er ließ es sich nicht nehmen, eine kleine Ecke, am oberen Rande jenes Manuskriptblattes, auf dem seine Aufzeichnungen ihren Anfang genommen hatten, die er aus unerfindlichen Gründen bisher freigelassen hatte, mit einer kleinen Randnotiz zu füllen: „Wichtig: Zuhause Kaktusfleisch essen!“
Wenn er sich nach seinem Mahl schmatzend und sich über die spröden Lippen leckend hurtig wieder in Bewegung setzte, so stand sein Denkapparat für eine Weile still. Er hatte Ruhe von sich selber und konzentrierte sich ganz auf den unendlichen Weg, bis der Prozess des Sinnens und Grübelns von alleine wieder in den gewohnten Trab verfiel. Ansonsten geschah nicht viel Erwähnenswertes. Vielleicht mag es den einen oder anderen tangieren, dass Herr von Seinen alle paar Meilen eine kurze Rast einlegte, um sich zu säubern und seine Garderobe einer knappen Inventur zu unterziehen. Sand und widerspenstige Reste von Salz wurden auch aus den verborgensten Nähten seiner Kleidung getilgt. Der Zylinder wurde von außen wie von innen akkurat gereinigt und entstaubt, jede unerwünschte Falte wurde mit besorgten Händen vom Angesicht des Planeten gestrichen. Herr von Seinen vertrat die Meinung, dass man umso ordentlicher in Erscheinung zu treten habe, je unordentlicher und konfuser es im Inneren des Menschen aussah. In dem Novellisten herrschte von je an Chaos. Doch er wusste sich damit zu arrangieren. Ja, er hatte es, wenn er es recht bedachte, zeitlebens genossen, eine so interessante und mysteriöse, gleichsam stets liederliche Werkstatt in sich vorzufinden. Auch räumte er dort nie auf, er verspürte etwas lockend Exotisches, ein Gefühl von Abenteuer, wie er es in weiter Ferne als Knabe beim Lesen gewisser Romane zuletzt empfunden hatte, wenn er dort Erkundungen anstellte. Er sagte sich, solange seine innere Werkstatt kaum mehr als ein staubiger Haufen von fremdartigen Gerätschaften war, solange dürfte auch noch das Quäntchen Kind, das er so schätzte, tief in seinem Geist sitzen und ihn in den entscheidenden Momenten schalkhaft lachend steuern. Also überprüfte er die korrekte Drehung seiner Hemdknöpfe, rubbelte einen Saftfleck, von einem der Kakteen stammend, peinlich berührt vom makellosen Kragen und blinzelte zufrieden in die unermüdliche Sonne. Ein paar Tage lang war er in einem ausgetrockneten Flussbett gewandert und hatte dies anfangs sehr geschätzt, da seine Wände Schutz vor der Sonne und der Heftigkeit plötzlich eintretender Sandstürme geboten hatten. Doch missfiel ihm das Wandern in dieser kärglichen Rille immer mehr, bis es ihn förmlich anwiderte und er sich aufgebracht zu fragen begann, wieso er jemals einen Fuß in diese frevelhafte Schändung der sonst so herrlich einförmigen Wüste gesetzt hatte. Fortan lief er querfeldein und achtete nicht einmal darauf, gen Westen zu pilgern, sondern schritt einfach in die Richtung, welche ihm im Augenblick am meisten behagte. Immer, wenn er irgendwo eine Fata Morgana erblickte, korrigierte er seinen Weg so, dass er sich möglichst weit von ihr abwandte und bald schon wurden diese Luftspiegelungen zu seinen wahren Wegweisern. Sobald er ein verräterisches Flimmern in der Ferne ausmachte, drehte er sich auf der Stelle um und schritt weit in die entgegengesetzte Richtung aus. Eine Zeitlang noch trieb es den Lektor spielenden Novellisten in seltsamem Zickzack durch das Sandmeer, bis er urplötzlich einfach haltmachte. Eine Weile stierte er durch den Vorhang seiner verklebten Wimpern mit verwundertem Ausdruck geradeaus. Dann räusperte er sich leicht, wischte sich übers Gesicht und trat letzten Endes wieder ein paar Schritte zurück. Als letzten kläglichen Versuch griff Herr von Seinen zu seiner Brille und schob sie sich kritisch das dürre Nasenbein hinauf. Angestrengt blickte er wieder auf das vor ihm liegende, nun freie Feld. Es war schon wundersam. Tat er einen Schritt nach vorne, so tat sich vor seiner Gestalt ein Berg von epochaler Größe auf. So breit, so massig, so göttlich, dass er ihn unter keinen Umständen bisher übersehen haben konnte. Ging er jedoch wieder zurück, so lag die Wüste in jener steppenhaften Einheitlichkeit vor ihm, wie er sie kennen und schätzen gelernt hatte. Zurück, vor, zurück, vor. Kein Zweifel, er war hier auf etwas Sonderbares gestoßen. Er zuckte die Achseln, kramte dann aber eifrig seine Notizen hervor, wühlte in dem wohl sortierten Stapel, bis er einen Zettel fand, der ihm passend erschien, und notierte mit ruhiger und langsamer Schreibhand etwas von einem eigentümlichen Breitengrad. Dann nahm seine Hand an Geschwindigkeit auf und er gab sich einem ungehemmten Schreibfluss hin. Bereits Geschriebenes wurde einfach von diesem Erguss überlagert. Was machte es schon, er konnte es erneut niederschreiben, schließlich befand sich doch alles in seinem Kopf! Eine Parade von Stichworten und Querverweisen zog sich nach wenigen Minuten über die Seite hinab und endlich beruhigte sich die unermüdliche Tatze und der Füller wurde zurück in seine sichere Halterung geführt. Eine Weile noch betrachtete Herr von Seinen das soeben Verfasste, machte abermals ein paar Schritte vor und zurück, als wollte er die Authentizität des Abbildes der Wirklichkeit auf seinem Papier überprüfen, und nickte dann voll Zufriedenheit. Mit graziöser Behutsamkeit, als trage er ein Neugeborenes, lagerte er seine Unterlagen wieder fest an seiner Brust, knöpfte das Jackett bis oben hin zu und betrat ohne Umschweife den Fuß des Berges.

Montag, 5. Juli 2010

Der Novellist - 3. Teil

Er gähnte herzhaft, streckte alle Viere von sich und erhob sich aus dem knöcheltiefen Wasser. Gischt kräuselte sich liebkosend um seine Gamaschen. Wenige Schritte von ihm entfernt stand eine vermummte Gestalt und starrte ihn aus großen braunen Augen heraus an.

Herr von Seinen klappte seinen Zylinder aus und schüttelte ihn ein wenig hilflos in der Luft herum, woraufhin eine Hundertschar winziger Tropfen aus dem Stoff sprang. Dann platzierte er ihn an seinem zugewiesenen Platz über der Stirn, um ihn sofort danach höflich zu lüpfen. Während er sprach, legte er die Entfernung zwischen sich und dem verdatterten Herren zurück.

„Guten Tag, der Herr. Mein Name ist Lars von Seinen. Schriftsteller bin ich von Beruf, Novellist um genau zu sein.“ Er lächelte höflich. „Vielleicht haben sie ja schon einmal von mir gehört.“

Da der Fischer keine Anstalten unternahm, aus seiner schweigsamen Starre zu erwachen, fuhr der Novellist Lars von Seinen munter fort: „Eine malerische Küste haben sie hier. Ja, sie können sich glücklich schätzen. Hätten sie wohl die Güte, mir zu erklären, wo genau wir uns befinden? Ich muss gestehen, im Laufe der vergangenen Tage etwas die Orientierung verloren zu haben.“ Er warf aufs Geratewohl ein paar prüfende Blicke zu allen Seiten. „Womöglich bin ich ein wenig von meinem ursprünglich geplanten Kurs abgekommen.“ Mit einem offenen Lächeln fixierte er den schmalen Spalt der Kopfbedeckung, die nur Platz für ein wenig Stirn und jene großen Sehwerkzeuge ließ.

Endlich rührte sich sein Gegenüber, er löste unglaublich langsam die Verschränkung seiner Arme und machte einen Schritt auf Herrn von Seinen zu. Kleine Rinnsale von feinem Sand gossen sich hierbei aus den frisch geöffneten Stoffkanälen seiner Tracht und wurden vom Wasser gleichgültig gefressen, das nun seine nicht beschuhten Füße, die enorme fleischige Zehen aufwiesen, wie leichter Wind umspielte. Die Antwort gab er mit einer tiefen, stumpfen Stimme in sehr langsamem Sprechtempo.

„Lrink Sgetra end. Mulctestref sturenk pehrk… Krellster end rents spar.“, er nickte bekräftigend und klatsche dann mit unveränderter Miene zweimal in die schaufelartigen Hände.

Herr von Seinen schaute ihm beeindruckt ins Gesicht. Nur einmal zuckte sein Mundwinkel kurz, während er nachdachte. Auf seinen Zügen lag unverändert das höfliche Lächeln.

„Das ist interessant. Es ist noch früher Morgen; wenn sie nichts dagegen haben, würde ich mich gerne für eine Weile zu ihnen gesellen. Mit etwas Geduld gelangen wir vielleicht zu einer Verständigung.“ Der Fischer grinste ihn an. Zusammen gingen sie den Stand hinauf, ließen sich am Fuße eines Baumes nieder, der aus korbartigem Material zu bestehen schien und auch sonst einer Palme ausgesprochen ähnlich war, und schufen Kommunikation. Herr von Seinen malte unter Zuhilfenahme all seiner Gliedmaßen und mehrerer Stöcke und Farne Landkartenteile, Gegenstände und Gestirne auf den Boden. Der Fischer hatte sich seines Gewandes entledigt und stand ihm mit freiem Oberkörper gegenüber. Sie gestikulierten, in regelmäßigen Abständen begann der Novellist zu schreien, einmal verschwand er für längere Zeit hinter dem Baum und kam mit völlig zerzaustem Haar und einer Beule im Zylinder wieder zum Vorschein. Dann standen sie wieder voreinander, sprachen sich vor und nach, klopften sich auf die Schultern, klopften sich auf die Bäuche, sperrten ihre Münder auf und lachten immer laut, wenn ein neuer Meilenstein auf dem unerbittlichen Pfad mittig von zwei vollständig unterschiedlichen Sprachen passiert wurde. Gemeinsam bauten sie diesen Pfad aus, anfangs dünn wie ein Nadelöhr, weiteten sich seine Grenzen und gegen Nachmittag gelang es ihnen, Hand in Hand diesen frisch geräumten Weg entlang zu schreiten. Sie verstanden einander.

Als Herr von Seinen sich nun um genaue Angaben bezüglich ihres Aufenthaltsortes erkundigte, sprach der Fischer flüssig und leicht verständlich die Worte: „Dies hier ist der Strand. Dort ist das große Wasser.“

„Ja.“, erwiderte Herr von Seinen. „Wo liegt Westen?“

Sein neuer Freund nickte und betrachtete seine Hände. Herr von Seinen wiederholte seine Frage und nun zeigte der Fischer fort von dem Meer, den langen Strand hinauf.

„Dort. Große, weite Wüste. Sie frisst.“ Dann rannte der Mann aufs Wasser zu, preschte durch die Brandung und warf sich auf den Bauch, woraufhin er vollständig unterging. Als er wieder auftauchte, zappelte ein silbern schillernder Fisch in seinen mächtigen Händen. Am Strand scharrte er mit seinen Füßen ein rechteckiges Becken in den Sand, das sich rasch mit Wasser füllte, und ließ seine Beute in den flachen Käfig gleiten.

„Wüste ist zu dir, wie Land für Wassertiere ist. Willst du Fisch für deine Reise?“

Doch Herr von Seinen hörte gar nicht hin, seine Augen kundschafteten die weite Ödnis im wiedergefundenen Westen aus.

„Wo ist ihre Familie, mein Herr?“, nahm er schließlich das Gespräch wieder auf.

Ohne Zögern kam die Antwort. „Ich bin alleine. Hier lebe ich. Ich erzähle Menschen von weiter Wüste. Und von großem Wasser. Ich träume, dass ein kleiner Mann mir den Auftrag gegeben hat, es den Reisenden zu sagen.“ Nun strahlte er, aber seine Augen wirkten matt in dem vom Salzwasser glänzenden Gesicht.“

Herr von Seinen war immer noch abwesend und antwortete mehr aus gutem Benehmen denn aus Interesse.

„Kommen denn viele hier vorbei?“

„Von dem großen Wasser oder von der weiten Wüste?“, lachte der Fischer. „Nein, nicht viele, natürlich nicht. Noch nie kam einer. Wer sollte denn auch? Das große Wasser ist leer, die weite Wüste ist leer. Und beide sind tot.“ Er klatschte wieder in die Hände. Als Herr von Seinen den Blick wieder auf ihn richtete, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass drahtige Geschwüre die Arme und den Brustkorb des Fischers verunzierten. Er sagte noch etwas zu ihm, der Fischer schaute ihn stumm an und stand wie versteinert am Strand. Der Seewind heftete Sandkörner an seinen feuchten Körper. Winzige kleine Dampfbällchen pufften aus den beiden Ohren des Fischers und erinnerten Herrn von Seinen an die schmächtigen Rauchwolken, die die Cecillie aus ihrem Schornstein gepresst hatte. Er sollte hier wirklich keine Zeit vergeuden. Das Leben war kurz und in seinem Fall vielleicht schon zur Hälfte verstrichen, wie er sich seit Jahren im Stillen predigte, wenn Bequemlichkeit sich seiner Knochen bemächtigen wollte.

„Werter Herr, meinen besten Dank für das Angebot mit dem Fisch. Aber ich bin versorgt.“ Er klopfte demonstrativ auf seine wohl gepolsterte Brust.

„Nun, ich würde sagen, es wird höchste Zeit, dass ich meinen Weg fortsetze. Ich danke ihnen aufs Herzlichste für die anregende Konversation und die wertvollen Informationen. Einen sonnigen Tag wünsche ich noch.“ Er hob den Hut zum Gruße, verbeugte sich dabei schwungvoll und drehte sich auf dem Absatz um. Seine Füße trugen ihn in die weite Wüste und hinterließen erst feuchte, schon bald aber trockene Spuren, die der Wind mit Eile verschwinden ließ. Hinter ihm wurde der Fischer immer kleiner und verschmolz mit wachsender Entfernung mit dem dünnen Strich des Meeres.

 
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