Dienstag, 31. August 2010

Die Fiktive

Weißt du, was deinen Reiz für mich ausmacht? Du bist nicht real. Du bist eine literarische Figur. Wenn du ungeschönt über deine blanken Gefühle sprichst, und zwar mit dem direkt an sie gekoppelten, dem Verursacher und Adressaten in einem, so bist du pure Literatur.
Du bist das, wofür andere schreiben, um ihr Leben kritzeln. Die primäre Motivation, nach Stift und Zettel zu langen, ist doch der Wunsch nach Ausdruck. Ausdruck von dem, was wir ansonsten zu verschweigen haben, von dem, weshalb es Fassade, Täuschung, Schwindelei und Therapeuten gibt. Für all das, was der Literat auszudrücken wünscht, aber nicht wagt, entwirft er fiktive Persönlichkeiten. Kleine Gustav von Aschenbachs oder Barton George Dawes. Sie sind die tief empfundenen Überbleibsel, wenn der Schriftsteller gesellschaftliche Zwänge und Hemmungen von sich geschält hat. Ihr Markenzeichen und Identifikationspotential ist das vielleicht größte, bestimmt aber dringendste Geheimnis des Autors. Und er setzt es hinein in eine idealisierte Welt, wo jene Attribute nicht nur nicht maskiert werden müssen, sondern gar häufig einen unabdingbaren Charakter zugesprochen bekommen. Sei es für dieses weltliche Zerrbild selber oder nur für die Geschichte in diesem. Sollten die Handlungen der Figur oder deren Beweggründe für sich alleine nicht deutlich genug sein, gibt es immer noch Platz in dem grenzenlosen Kosmos ihrer Gedankenwelt.


Konfrontiert man den Schriftsteller nun mit der obligatorische Frage, wie viel er von selbst wohl dem Protagonisten angeschrieben habe, so steht es ihm stets frei, ganz unverbindlich zu erwidern: „Sehen Sie denn nicht, dass es sich um Fiktion handelt? Figuren dienen der Geschichte. Allein der Geschichte und nicht mir.“

Sofern die Geschichte aber gut ist – und warum sollte sonst wohl jemand auf die Idee kommen, Fragen über sie zu stellen - , lügt der Autor. Jedenfalls teilweise. Nicht umsonst hat das Gros der anerkannten literarischen Meisterwerke einen autobiographischen Anstrich.


Schriebe ich nun eine Geschichte, wärst du – oder eine Abwandlung von dir – eine ihrer Figuren.

Diese Figuren sind der Trost und Kompensator ihrer Erschaffer. Die Antithese all ihrer Ängste, die absolute Unverblümtheit ihrer Leidenschaften. Ganz genauso wirkst du auf mich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de