Wenig überraschend durchstachen zuerst Herr von Seinens mit den geschmackvollen Gamaschen versehenen Beine die Wasseroberfläche, ehe sein Rumpf und letzten Endes auch der Kopf eintauchten, auf dem der Zylinder mit vehementem Handgriff gehalten wurde. Sein Körper drang tief in die Fluten und fing sich erst nach einigen Metern, um nachfolgend durch ein systematisches Strampeln der Stelzenbeine wieder nach oben getrieben zu werden. Währenddessen fischte die bis dato unbeschäftigte Hand geschwind Manuskriptblätter aus tückischen Wasserstrudeln und seine Lippen begannen in stummer Disziplin die Zahlen zu formen, welche für die noch fehlenden Seiten standen. Wieder aufgetaucht, griff Herr von Seinen Seite um Seite aus dem Wasser, bewegte pflichtbewusst die Lippen hierzu und würdigte die träge davon schippernde Kronprinzessin Cecillie nicht mit einem Gedanken. Er paddelte hin und her, tauchte zuweilen unter, blieb gen Ende sogar mehrere Minuten verschwunden, und klemmte sich die zurückgerungenen Werkstücke fest unter den angewinkelten Fangarm. Als Ober- und Unterlippe „Drei, zwei, eins, und fertig. So!“ über sich gebracht hatten, war Herr von Seinens Reisemöglichkeit längst nur noch ein vager Punkt am langweiligen Horizont. Tief in des Zwergdampfers klaustrophobischen Wanst ruhte ein früher Prototyp des Automobils der Marke Piccolo und aus irgendeinem Grund sprang von allen unbemerkt sein unbedarfter Motor an und gluckerte leise sein Lied von den Freuden der Mobilität.
So fand er sich nun wieder, im Schoße des weiten Meeres, und sah als winziger Punkt im Spiegelbild grobschlächtiger Wolkenbilder klein und unbedeutend aus. Sein Gesicht gewährte der Sorge ob der scheinbar ausweglosen Situation jedoch keinen Zutritt und so war sein Mund zwar in einer faltigen Art verschlossen, die man leicht als Säuerlichkeit fehldeuten konnte, doch seine Augen waren entspannt geöffnet und gaben sogar unverhohlenes Schimmern einer sattsamen Zufriedenheit preis. Nicht mehr lange und auch die krümeligen optischen Reste der treibenden Monarchin wurden von der Ferne geschluckt. Ein ruhiger Dämmerbau legte sich mit imponierender Geschwindigkeit über die ganze Welt und der Wind erstarkte, als wollte er der majestätisch heran schreitenden Nacht einen hochmütigen Gruß entgegenwerfen. Wie um Achtung zu zollen, schob Herr von Seinen den oberen der drei zuvor geöffneten Knöpfe zurück in sein Knopfloch. Dann schielte er auf den Kopf der Pfeife, deren Mundstück immer noch krampfhaft von seinen Zähnen umklammert wurde, ließ beim Anblick der jämmerlichen Schlammbrocken, die einst seinem geliebten Tabak angehörig gewesen waren, ein enttäuschtes Brummeln entweichen und wand sich dann auf den Rücken, um sich treiben zu lassen.
Während der Tag eilig dem Weg der Cecillie folgte und in der Kehle des Horizontes versank, sortierte der Novellist die Blätter zurück in ihre ursprüngliche Ordnung, indem er drei Stapel auf Brust und Bauch anhäufte, die nach und nach wieder zu einem großen wurden. Der Wind stellte sich nun gut mit ihm. Als diese Arbeit getan war, blickte er zufrieden an sich hinab und prüfte abermals seine Pfeife. Die spärlichen Reste des Tabaks waren getrocknet und wie durch ein Wunder hatte sich die Packung Zündhölzer in seiner Brusttasche als wasserfest erwiesen. Mit neuem Elan klemmte sich Herr von Seinen den Papierstapel zwischen Hemd und Jackett, knöpfte dieses bis oben hin zu, sodass die Blätter fest und sicher an seinem Herz lagen, und verwandelte die letzten Krümel des unbekannten Tabakgemisches in eine heimelige Glut. Voll Freude stellte er fest, dass der gewohnte Geschmack sich wieder einfand. Vielleicht etwas milder und kratziger als sonst, aber immer noch von unverkennbarem Wald- und Wiesencharakter. So trieb er in seinem nassen Bett. Am Himmelszelt schälten sich die Sterne aus der friedlichen Dunkelheit, als wollten sie auf das winzige Glimmen dort unten im Meer antworten, und Wind und Wellen trieben Herrn von Seinen sanft in die fleischlosen Arme des Ostens.
Irgendwann in der unentschlossenen Zeit zwischen Morgengrauen und Mittagsstunden erwachte er aus einem dämmrigen Halbschlaf und schlug die Augen auf. Eigentümlich spitze Bauten in einer gelben Einöde von erschlagender Weite hatten seinen Traum bestimmt. Fremdartige Blumen hatten diese ansonsten kahle Welt bevölkert. Er blickte nach oben in die von klarem Blau durchsetzte Höhe und bewegte seine Beine in rhythmischer Betriebsamkeit, um sich zusätzlichen Antrieb zu verschaffen. Es war ein friedlicher Tag, die schillernden Geräusche des ruhigen Ozeans lagen beschwingt in seinen Ohren und er sinnierte eine Weile über die Bedeutung dieses merkwürdigen Traumes. Weil er weder Hunger noch Durst verspürte, waren der einzige Grund zur Klage seine nassen Stiefel. Da die Sonne aber warm und freundlich schien, die Luft klar war und aus der längst erloschenen Pfeife immer noch ein angenehm würziges Aroma in seine Nase strömte, war der Tag durchaus als prächtig zu verbuchen. Schließlich brach erneut die Nacht herein und Herr von Seinen verfiel früh und zufrieden in seinen seichten Schlummer. Abermals träumte er und als sich zum zweiten Mal der Tag aus seinen himmlischen Gemächern hinab zur Erde bequemte, war immer noch kein Land in Sicht. Wind und Wellen taten weiter ihre Arbeit, Herr von Seinens Füße traten pflichtbewusst Wasser und das Meer duftete.
So zogen die Tage vorüber, gaben milde Nächte ihren Einstand und Herr von Seinen vergaß, sie zu zählen. Dann und wann las er seine Schriften Korrektur, verbesserte mit seinem Füller Kleinigkeiten oder beseitigte Ungereimtheiten. Sobald er spürte, dass Müdigkeit ihn zu überkommen drohte, schob er die Blätter zurück zum Mutterstapel an seiner Brust und schlummerte in bequemer Rückenlage.
An seinem letzten Tag auf See tauchte urplötzlich ein gewaltiger Wal neben ihm auf und begleitete ihn ein Stück. Sein müdes und entzündetes Auge musterte ihn lange und eingehend. Dann tauchte der Riese mit leisem Grollen wieder in die Tiefe hinab.
Als die folgende Nacht im Begriff war, sich aufzuhellen, stellte Herr von Seinen verwundert fest, dass er nicht mehr schwamm sondern lag.
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